Betreuungsunterhalt des geschiedenen Ehegatten
Änderungen durch die Reform 2008 und neuere Urteile der Familiengerichte (Bearbeitungsstand: April 2009)
Der Gesetzgeber hat bekanntlich nach einer langen Diskussion das Unterhaltsrecht reformiert. Das alte Unterhaltsrecht war in vielen Fällen ungerecht und nicht mehr zeitgemäß – diese Einsicht teilte man über alle Lager und Parteigrenzen hinweg. Lebenslang Unterhalt für den geschiedenen Partner? Und das auch noch auf dem Niveau, das im Zeitpunkt der Scheidung bestand? Das alte Recht gab eine gewisse „Lebensstandardgarantie“ (BVerfG, Urt. v. 14.7.1981). Das sollte es nicht mehr geben. Die nun in der Öffentlichkeit mitunter heftig diskutierten Änderungen betreffen vor allem die Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten, der ein gemeinsames Kind betreut.
Was hat sich hier überhaupt geändert? Früher wurde dem betreuenden Ehegatten ein nachehelicher Unterhalt zugesprochen, der nicht selten bis zur Rente oder sogar noch darüber hinaus zu zahlen war – obwohl das Gesetz schon früher den nachehelichen Unterhalt als „Ausnahmefall“ definierte. Schon damals galt das Prinzip der Eigenverantwortung. Die Familiengerichte verlangten vom betreuenden Ehegatten jedoch erst sehr spät die Aufnahme bzw. Ausweitung der Erwerbstätigkeit. Die Richter bestimmten die Erwerbsobliegenheit des betreuenden Ehegatten allein nach dem Alter des jüngsten gemeinsamen Kindes. Diese starre schematische Betrachtung, das sogenannte Altersphasenmodell, diente der Vereinfachung. Das Modell wurde sogar in die Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte aufgenommen und es wurde jahrelang wie ein Dogma angewendet: Ab Geburt bis zum Ende der 2. Schulklasse musste der betreuende Ehegatte gar nicht arbeiten. Ab der 3. Schulklasse wurde allenfalls eine Halbtagestätigkeit erwartet und erst ab dem 12. Lebensjahr, teilweise auch erst ab dem 15. Lebensjahr, wurde eine Vollzeittätigkeit erwartet. Nach diesem Schema wurden zwar viele geschiedene Mütter vor einer Pflicht zur schnellen Rückkehr in das Berufsleben bewahrt. Faktisch führten aber diese (im Gesetz nicht verankerten) Zugeständnisse dazu, dass die Abhängigkeit bestehen blieb. Später kamen sie nur schwer bzw. gar nicht mehr in den Beruf zurück. Wenn der andere Ehegatte auch nicht genügend Geld hatte, musste letzten Endes die Allgemeinheit aufkommen für Sozialhilfe und Grundsicherung.
Nach dem neuen Recht gibt es den Betreuungsunterhalt regelmäßig nur bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes. Ob danach noch Betreuungsunterhalt verlangt werden kann, müssen jetzt die Gerichte im jeweiligen Einzelfall nach Billigkeit entscheiden. Das neue Recht stellt auf kind- und elternbezogene Gründe ab und ermöglicht nach wie vor einen gestuften Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Es sind die individuellen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die bestehenden Möglichkeiten einer anderweitigen und zuverlässigen Kinderbetreuung. Jetzt wird zum Beispiel gefragt: Ist das Kind normal entwickelt? Gibt es krankheitsbedingt einen besonderen Betreuungsbedarf? Existiert eine Möglichkeit zur Ganztagesbetreuung? Wie lange dauerte die Ehe? Wie war während der Ehe die Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit gestaltet? Haben die Eltern (z.B. in einem Ehevertrag) Absprachen getroffen, dass die Betreuung durch den Elternteil Vorrang haben soll? Wie weit ist der Weg zwischen der Wohnung und dem Arbeitsplatz des Elternteils? Das Gesetz gibt nun insgesamt eine neue Richtung vor, indem es die Eigenverantwortung der geschiedenen Ehegatten noch stärker betont und es dem Grunde nach für zumutbar hält, dass die gemeinsamen Kinder nach deren 3. Lebensjahr nicht mehr vorrangig persönlich von den Eltern betreut werden.
Diese gesellschaftspolitische Weichenstellung des Gesetzgebers trifft aber nun mit voller Wucht auf die Realität. Zwar gibt es bereits einen gesetzlich verankerten Anspruch auf einen Kindergartenplatz für ein Kind ab drei Jahren (und ab 2013 wird dieser Anspruch ausgedehnt). § 24 des achten Sozialgesetzbuches lautet: „Ein Kind hat vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen oder ergänzend Förderung in Kindertagespflege zur Verfügung steht.“ In der Praxis gibt es aber leider nicht immer einen freien Platz in der Vormittagsgruppe eines ortsnahen Kindergartens. Selbst wenn eine Möglichkeit zur Kinderbetreuung besteht, gibt es momentan eine kaum zu stillende Nachfrage nach geeigneten Teilzeit-Arbeitsstellen; zudem verlangen viele Arbeitgeber hohe Flexibilität. Was ist aber, wenn das Kind krank wird und keine Großeltern in der Nähe sind? Wie viele Möglichkeiten der Ganztagesbetreuung gibt es? In Baden Württemberg wird gerade mal jedes zehnte Kind im Alter von 3 bis 5 Jahren ganztags betreut (Quelle: destatis).
Es geht eben nicht „von Null auf Hundert“. Weder bei der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit, noch bei der strikten Umsetzung des neuen Rechts. Wir befinden uns noch immer in einer Übergangsphase. Wie bei jeder tiefgreifenden Gesetzesänderung werden die Karten neu gemischt. Auch in Unterhalts-Altfällen leben die Streitigkeiten wieder auf. Es ist eine explosive Mischung: Die Hoffnungen der einen treffen auf die Befürchtungen der anderen, alte Rollenbilder und ideologische Familienmodelle werden bemüht. Einige instrumentalisieren die Unsicherheit der Betroffenen und verkünden schon mal den „Kampf um den Unterhalt“. Und doch: Trotz der vielen Umstellungsschwierigkeiten blieb das ganz große Chaos aus, das manche prophezeit hatten.
Was aber machen nun die Familiengerichte? Sie betreten derzeit täglich unterhaltsrechtliches „Neuland“. Sie müssen jeden Einzelfall sorgfältig prüfen. In Härtefällen muss mit Augenmaß agiert werden. Einige Gerichte haben dem Unterhalt begehrenden Ehegatten eine Übergangsfrist von bis zu einem Jahr (also bis 31.12.2008) zugestanden, damit sich dieser auf die neuen Anforderungen einstellen kann AG Düsseldorf, Urt. v. 25.2.2008 – 261 F 48/07). Das KG Berlin hielt den betreuenden Elternteil des gemeinsamen achtjährigen Kindes auch nach neuem Unterhaltsrecht nicht verpflichtet, das Kind ganztägig in eine Fremdbetreuung zu geben (Urt. v. 8.1.2009 – 16 UF 149/08). Bei Kindern im Grundschulalter, die in eine Ganztagsbetreuung gehen könnten, sehen einige Gerichte den betreuenden Elternteil nicht verpflichtet, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen (KG Berlin, Urt. v. 18.8.2008 – 13 WF 111/08).
Das Bedürfnis nach Vereinfachungen ist groß. Manche Gerichte gingen deshalb sogar so weit, dass sie das alte Altersphasenmodell, wenn auch in leicht abgeänderter Form, wieder einführten. Genau das wollte der Gesetzgeber aber verhindern. Das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.03.2009 (XII ZR 74/08) erteilt den allzu reaktionären Vorstößen indessen eine klare Absage: Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein auf das Alter des Kindes abstellt, werde den neuen gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht. Die obersten Richter im Klartext: „Mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts hat der Gesetzgeber für Kinder ab Vollendung des 3. Lebensjahres den Vorrang der persönlichen Betreuung aufgegeben.“ Nur in den ersten drei Lebensjahren des Kindes bleibt dem betreuenden Elternteil die Entscheidung überlassen, ob er das Kind selbst erziehen oder eine andere Betreuungsmöglichkeit in Anspruch nehmen will.
Bei dieser Diskussion darf auch eines nicht vergessen werden: Fällt der Betreuungsunterhalt eines geschiedenen Ehegatten weg, heißt das noch nicht, dass es danach gar keinen Unterhalt mehr gibt. Neben bzw. im Anschluss an den Betreuungsunterhalt (treffender: „Basisunterhalt“) gibt es häufig noch einen sogenannten Aufstockungsunterhalt. Anders als früher kann dieser Aufstockungsunterhalt aber regelmäßig der Höhe nach begrenzt und/oder zeitlich befristet werden – wenn keine „ehebedingten Nachteile“ mehr vorliegen. Auch dabei handelt es sich wieder um eine Billigkeitsentscheidung, die die Gerichte im Einzelfall zu treffen haben.
In den nächsten Monaten und Jahren wird die Rechtssicherheit weiter zunehmen. Das Bedürfnis der Praxis nach Orientierungshilfen könnte möglicherweise dadurch gedeckt werden, indem Rechtsprechung und Literatur bestimmte Fallgruppen für vergleichbare Sachverhalte herausbilden. Vielleicht wird es später einmal tabellarische Sammlungen von Einzelfallentscheidungen geben, wie es zum Beispiel jetzt schon beim Schmerzensgeld der Fall ist.
Quelle: Autor: RA Dirk Vollmer für www.ehescheidung24.de