Gerichtsurteile zum Sorgerecht
Ausschluss des Vaters verfassungswidrig
veröffentlicht 12. 08 2010 (jm)
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 57/2010 vom 3. August 2010 Beschluss vom 21. Juli 2010 – 1 BvR 420/09
Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der elterlichen Sorge bei Zustimmungsverweigerung der Mutter verfassungswidrig
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts am 1. Juli 1998 wurde nicht miteinander verheirateten Eltern erstmals unabhängig davon, ob sie zusammenleben, durch § 1626a BGB die Möglichkeit eröffnet, die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam zu tragen. Voraussetzung hierfür ist, dass dies ihrem Willen entspricht und beide Elternteile entsprechende Sorgeerklärungen abgeben (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB); anderenfalls bleibt die Mutter alleinige Sorgerechtsinhaberin für das nichteheliche Kind. Auch eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge von der Mutter auf den Vater kann nach § 1672 Abs. 1 BGB bei dauerhaftem Getrenntleben der Eltern nur mit Zustimmung der Mutter erfolgen. Gegen ihren Willen kann der Vater eines nichtehelichen Kindes nur dann das Sorgerecht erhalten, wenn der Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls die elterliche Sorge entzogen wird, ihre elterliche Sorge dauerhaft ruht oder wenn sie stirbt. Bereits im Jahr 2003 wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB sich dann als unvereinbar mit dem Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG erweisen würde, wenn sich herausstellen sollte, dass es - entgegen der Annahme des Gesetzgebers - in größerer Anzahl aus Gründen, die nicht vom Kindeswohl getragen sind, nicht zur gemeinsamen Sorgetragung von Eltern nichtehelicher Kinder kommt (BVerfGE 107, 150 ff.). Dem Gesetzgeber wurde ein entsprechender Prüfungsauftrag erteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärte in seinem Urteil vom 3. Dezember 2009, dass der grundsätzliche Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter im Hinblick auf den verfolgten Zweck, nämlich den Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes, nicht verhältnismäßig sei (vgl. EGMR, Nr. 22028/04). Der Beschwerdeführer ist Vater eines 1998 nichtehelich geborenen Sohnes. Die Eltern trennten sich noch während der Schwangerschaft der Mutter. Der gemeinsame Sohn lebt seit seiner Geburt im Haushalt der Mutter, hat aber regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Beschwerdeführer erkannte die Vaterschaft an. Eine Erklärung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge wurde von der Mutter verweigert. Als diese einen Umzug mit dem Kind beabsichtigte, beantragte der Beschwer-deführer beim Familiengericht die teilweise Entziehung des Sorgerechts der Mutter und die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn selbst; hilfsweise stellte er den Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen oder die Zustimmung der Mutter zu einer gemeinsamen Sorge zu ersetzen. Das Familiengericht wies die Anträge in Anwendung der geltenden Rechtslage mit der Begründung zurück, dass es zur Übertragung des Sorgerechts oder Teilen davon an der erforderlichen Zustimmung der Mutter fehle. Gründe für eine Entziehung des Sorgerechts der Mutter lägen nicht vor. Die hiergegen beim Oberlandesgericht eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf die Verfassungsbeschwerde nun entschieden, dass die §§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und 1672 Abs. 1 BGB mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar sind. Der Beschluss des Familiengerichts ist aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen worden. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht in Ergänzung der §§ 1626a Abs. 1 Nr. 1, 1672 Abs. 1 BGB vorläufig angeordnet, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil davon gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht; dem Vater ist auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder ein Teil davon allein zu übertragen, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber das elterliche Sorgerecht für ein nichteheliches Kind zunächst allein seiner Mutter übertragen hat. Ebenfalls steht mit der Verfassung in Einklang, dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zugleich mit der wirksamen Anerkennung seiner Vaterschaft gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht eingeräumt ist. Eine solche Regelung wäre allerdings mit der Verfassung vereinbar, sofern sie mit der Möglichkeit verbunden wird, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die gesetzlich begründete gemeinsame Sorge der Eltern dem Kindeswohl im Einzelfall tatsächlich entspricht. Der Gesetzgeber greift jedoch dadurch unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes ein, dass er ihn generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt, wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des Kindeswohls eingeräumt ist. Die Regelung des § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB, der die Teilhabe an der gemeinsamen Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, stellt ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung einen tiefgreifenden Eingriff in das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG dar. Der Gesetzgeber setzt das Elternrecht des Vaters in unverhältnismäßiger Weise generell hinter das der Mutter zurück, ohne dass dies durch die Wahrung des Kindeswohls geboten ist. Denn die dem geltenden Recht zugrunde liegende Annahme des Gesetzgebers hat sich nicht als zutreffend erwiesen. Neuere empirische Erkenntnisse bestätigen nicht, dass Eltern die Möglichkeit gemeinsamer Sorgetragung in der Regel nutzen und die Zustimmungsverweigerung von Müttern in aller Regel auf einem sich nachteilig auf das Kind auswirkenden elterlichen Konflikt basiert sowie von Gründen getragen ist, die nicht Eigeninteressen der Mutter verfolgen, sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen. Vielmehr verständigen sich lediglich knapp über die Hälfte der Eltern nichtehelicher Kinder darauf, Erklärungen zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge abzugeben. Zum anderen ist nach durchgeführten Befragungen von Institutionen und Experten davon auszugehen, dass in nicht unbeträchtlicher Zahl Mütter allein deshalb die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge verweigern, weil sie ihr angestammtes Sorgerecht nicht mit dem Vater ihres Kindes teilen wollen. Auch die Regelung in § 1672 Abs. 1 BGB, der die Übertragung der Alleinsorge für ein nichteheliches Kind von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, stellt einen schwerwiegenden und nicht gerechtfertigten Eingriff in das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG dar. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Eröffnung einer gerichtlichen Übertragung der Alleinsorge auf den Vater andererseits schwerwiegend in das Elternrecht der Mutter eingreift, wenn dem väterlichen Antrag im Einzelfall stattgegeben wird. Denn der Mutter wird die bisher von ihr ausgeübte Sorge gänzlich entzogen, und zwar nicht, weil sie bei ihrer Erziehungsaufgabe versagt hat und dadurch das Kindeswohl gefährdet ist, sondern weil in Konkurrenz zu ihr der Vater sein Recht reklamiert, an ihrer Stelle für das Kind zu sorgen. Zudem ist mit einem Sorgerechtswechsel regelmäßig auch ein Wechsel des Kindes vom Haushalt der Mutter in den des Vaters verbunden, wodurch insbesondere das Bedürfnis des Kindes nach Stabilität und Kontinuität berührt wird. Unter Berücksichtigung dessen und in Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen beider Eltern ist es zwar mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht vereinbar, dem Vater mangels Möglichkeit einer gerichtlichen Einzelfallprüfung den Zugang auch zur alleinigen Sorge zu verwehren. Eine Übertragung der Alleinsorge von der Mutter auf den Vater des nichtehelichen Kindes ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn es zur Wahrung des väterlichen Elternrechts keine andere Möglichkeit gibt, die weniger in das mütterliche Elternrecht eingreift, und wenn gewichtige Kindeswohlgründe vorliegen, die den Sorgerechtsentzug nahelegen. Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob eine gemeinsame Sorgetragung beider Eltern als weniger einschneidende Regelung in Betracht kommt. Sofern dies der Fall ist, hat eine Übertragung der Alleinsorge zu unterbleiben. Ansonsten ist dem Vater die Alleinsorge zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.
Bundesgerichtshof zur Übertragung des Sorgerechts auf den Vater bei einem nichtehelichen Kind
veröffentlicht am 08.07.2010 (jm)

(Stuttgart) - Wird der allein sorgeberechtigten Mutter eines nichtehelichen Kindes das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, so kann der Vater des Kindes insoweit die Übertragung des Sorgerechts auf sich beantragen und ist gegen eine ablehnende Entscheidung des Familiengerichts auch beschwerdeberechtigt.

Darauf verweist der Nürnberger Fachanwalt für Familienrecht Martin Weispfenning, Vizepräsident und Geschäftsführer "Familienrecht" der Deutschen Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V. (DANSEF) in Stuttgart, unter Hinweis auf den am 05. Juli 2010 veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BBH) vom 16. Juni 2010 - XII ZB 35/10.

In dem Fall sind die Beteiligten zu 1 und 2 die nicht verheirateten Eltern des am 13. April 2006 geborenen Kindes. Sie hatten nur eine kurzzeitige Beziehung. Die Mutter, die drei weitere Kinder hat, verheimlichte ihre Schwangerschaft. Nach der Geburt setzte sie das Kind aus, indem sie in einen anderen Stadtteil fuhr und das Kind dort vor die Tür eines Wohnhauses legte. Nachdem das Kind aufgefunden wurde, wurde es vom Jugendamt in Obhut genommen und in eine Pflegefamilie gegeben. Mutter und Vater des Kindes wurden erst später ermittelt. Die Mutter wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Mutter, die das Kind zunächst zur Adoption freigegeben hatte, ist als alleiniger Inhaberin des Sorgerechts das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und dem Jugendamt als Pfleger übertragen worden. Zwischen Vater und Kind finden in wechselndem Umfang begleitete Umgangskontakte statt. Der Vater beantragte nun, ihm das Sorgerecht zu übertragen. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Antrag zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Vaters als unzulässig verworfen.

Dagegen richtete sich die vom Vater eingelegte Rechtsbeschwerde, der der BGH nun in vollem Umfang entsprach, so betont Weispfenning.

Im Fall des Sorgerechtsentzugs hat das Familiengericht nach § 1680 BGB die elterliche Sorge dem Vater zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes dient. Diese Regelung begründe ein subjektives Recht des Vaters, aus dem sich auch dessen Beschwerdeberechtigung gemäß § 20 FGG ergibt.

Ein solcher Fall liege hier vor. Durch den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei die Mutter insoweit nicht mehr Inhaberin der Personensorge. Es stehe demnach zwar keine vollständige Sorgerechtsentziehung in Rede, sondern nur die Entziehung einer einzelnen Befugnis. Der hinter der ersatzweisen Übertragung des Sorgerechts nach § 1680 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 BGB stehende gesetzgeberische Gedanke gebiete aber auch eine Anwendung auf die Entziehung von Teilbefugnissen. Das müsse jedenfalls für das hier in Rede stehende Aufenthaltsbestimmungsrecht gelten, weil es sich dabei um eine der wichtigsten Sorgerechtsbefugnisse handele. Der gesetzliche Gedanke des § 1680 BGB, dass bei einem Ausfall des ursprünglich Sorgeberechtigten oder einem diesen betreffenden Sorgerechtsentzug die nicht mehr ausgeübte Rechtszuständigkeit dem anderen Elternteil zu übertragen ist, könnte anderenfalls unterlaufen werden, indem etwa restliche Befugnisse dem für die elterliche Sorge ungeeigneten Elternteil belassen werden und dem anderen Elternteil so der Zugang zum Sorgerecht versperrt bliebe. Das zeige auch der vorliegende Fall. Denn die Mutter, die weiterhin Inhaberin der restlichen Sorgerechtsbefugnisse geblieben ist, hatte nicht nur das Kind zunächst zur Adoption freigegeben, sondern hat zu dem Kind auch keinen Kontakt und strebt ihn auch nicht an.

Quelle: www.verbaende.com

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Fünfte Sektion
veröffentlicht am 22.01.10 (hr)
Anonymisierte nichtamtliche Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Bundesministerium der Justiz, Berlin

mehr lesen ...»
logo egmr
Sorgerechtsentzug bei der Mutter -
das alleinige Sorgerecht wird auf den Vater übertragen
veröffentlicht am 29.12.2009 (hr)
OLG-Brandenburg 15 UF 98/08 vom 27.07.2009
3. Senat für Familiensachen

Sorgerechtsentzug bei der Mutter -
das alleinige Sorgerecht wird auf den Vater übertragen.

mehr lesen ...»
Väterdiskriminierung – Weg mit § 1626a BGB
veröffentlicht am 06.12.2009 (hr)
An den 03.12.2009 wird die Familienwüste Deutschland noch lange denken. 11 Jahre nach seiner Einführung wackelt DER Diskriminierungsparagraf des BGB gewaltig. Dazu bedurfte es aber erst einer schallenden Ohrfeige aus Europa.

mehr lesen ...»
logo egmr
OLG Frankfurt/M.: Wille eines Zwölfjährigen darf berücksichtigt werden
veröffentlicht 11. August 2009
Bei der Entscheidung über das Sorgerecht darf ein Gericht durchaus den Willen eines erst zwölf Jahre alten Kindes berücksichtigen. Das berichtet die Fachzeitschrift "OLG-Report" unter Berufung auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt. Nach Auffassung des Gerichts kann ein Kind mit zwölf Jahren durchaus in der Lage sein, eigenverantwortlich zu beurteilen, welche Regelung seinem Wohl am ehesten dient (Az.: 1 UF 72/08). Das Gericht wies mit seinem Beschluss die Beschwerde einer Mutter gegen den Entzug des Sorgerechts zurück. Das Amtsgericht Frankfurt hatte der geschiedenen Mutter nicht nur das Sorgerecht entzogen, sondern zugleich entschieden, dass der Junge bei seinen Großeltern bleiben darf. Der Junge hatte entsprechende Wünsche geäußert. Quelle: Berliner Morgenpost
OLG Köln: Kontinuität nicht wichtig
veröffentlicht 01. Juni 2009
Den gesamten Beschluss des OLG Köln: Kontinuität nicht wichtig - im Zweifel das ABR für die Mutter als pdf zum Download.
Was bedeutet der Begriff „Sorgerecht“?
veröffentlicht 18. Juli 2009

Sorgerecht bei Getrenntleben

Seit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1998 bleibt es im Falle der Trennung und Scheidung i.d.R. bei der gemeinsamen elterlichen Sorge. ...»

Alleinige elterliche Sorge
veröffentlicht 18. Juli 2009

Ein Antrag auf Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt voraus, dass dies dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Diese juristische Formulierung bedeutet: Es ist zu prüfen, ob zwischen den Eltern die Einigung in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung noch möglich ist....»