Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 121/2009 vom 22. Oktober 2009
Beschluss vom 7. Juli 2009
– 1 BvR 1164/07 –
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Bereich der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nach der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Anders als bei der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es im Rahmen der
Zusatzversorgung der VBL keine Hinterbliebenenrente für eingetragene
Lebenspartner. Hiergegen wandte sich der Beschwerdeführer, der in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, erfolglos vor den
Zivilgerichten.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die
angegriffenen Gerichtsentscheidungen den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Das
letztinstanzliche Urteil des Bundesgerichtshofs wurde insoweit
aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle
Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein
gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung
einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber
vorenthalten wird. Die Satzung der VBL ist ungeachtet ihrer
privatrechtlichen Natur unmittelbar am Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs.
1 GG zu messen, da die VBL als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt.
2. Die Regelung zur Hinterbliebenenrente in der Satzung der VBL (§ 38
VBLS) führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen Versicherten, die
verheiratet sind, und solchen, die in einer eingetragenen
Lebenspartnerschaft leben. Ein verheirateter Versicherter hat als Teil
seiner eigenen zusatzrentenrechtlichen Position eine Anwartschaft
darauf, dass im Falle seines Versterbens sein Ehegatte eine
Hinterbliebenenversorgung erhält. Ein Versicherter, der eine
eingetragene Lebenspartnerschaft begründet hat, erlangt eine solche
Anwartschaft für seinen Lebenspartner nicht.
3. Diese Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener
Lebenspartnerschaft ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
a) Im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Verheirateten und
eingetragenen Lebenspartnern nach § 38 VBLS ist ein strenger Maßstab für
die Prüfung geboten, ob ein hinreichend gewichtiger
Differenzierungsgrund vorliegt. Ein besonderer Rechtfertigungsbedarf
folgt daraus, dass die Ungleichbehandlung von Ehepartnern und
eingetragenen Lebenspartnern das personenbezogene Merkmal der sexuellen Orientierung betrifft und dass die Regelung der Satzung der VBL zur Hinterbliebenenrente sich weitgehend an den Regelungen des SGB VI zur
Witwen- und Witwerrente orientiert, diese Anknüpfung aber zu Lasten der
eingetragenen Lebenspartnerschaft durchbricht.
b) Zur Begründung der Ungleichbehandlung reicht hier die bloße
Verweisung auf die Ehe und ihren Schutz nicht aus. Tragfähige sachliche
Gründe für eine Ungleichbehandlung im Bereich der betrieblichen
Hinterbliebenenversorgung liegen nicht vor und ergeben sich insbesondere
auch nicht aus einer Ungleichheit der Lebenssituation von Eheleuten und
Lebenspartnern. Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und
Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Um dem
Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates,
alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt,
und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Dem Gesetzgeber ist es
grundsätzlich nicht verwehrt, sie gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Die ehebegünstigenden Normen bei Unterhalt, Versorgung und
im Steuerrecht können ihre Berechtigung in der gemeinsamen Gestaltung
des Lebensweges der Ehepartner und in der auf Dauer übernommenen, auch
rechtlich verbindlichen Verantwortung für den Partner finden.
Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer
Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten
Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe
vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot
der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Denn aus der Befugnis, in Erfüllung und Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Förderauftrags
die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu privilegieren, lässt sich kein
in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenes Gebot herleiten, andere Lebensformen
gegenüber der Ehe zu benachteiligen. Es ist verfassungsrechtlich nicht
begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere
Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit
geringeren Rechten zu versehen sind. Hier bedarf es jenseits der bloßen
Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der gemessen am jeweiligen Regelungsgegenstand und -ziel die Benachteiligung anderer Lebensformen rechtfertigt.
c) Es sind keine einfachrechtlichen oder tatsächlichen Unterschiede erkennbar, die es rechtfertigen, eingetragene Lebenspartner in Bezug auf die Hinterbliebenenversorgung der VBL schlechter zu behandeln als Ehegatten.
Die Hinterbliebenenversorgung der VBL ist eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung und gehört als solche zum Arbeitsentgelt. In Bezug auf die Zielrichtung, Arbeitsentgelt zu gewähren, sind keine Unterschiede zwischen verheirateten Arbeitnehmern und solchen, die in einer Lebenspartnerschaft leben, erkennbar. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Versorgungscharakters der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die Unterhaltspflichten innerhalb von Ehen und
eingetragenen Lebenspartnerschaften sind weitgehend identisch geregelt, so dass der Unterhaltsbedarf eines Unterhaltsberechtigten und die bei Versterben eines Unterhaltspflichtigen entstehende Unterhaltslücke nach gleichen Maßstäben zu bemessen sind.
Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft kann auch nicht darin gesehen werden, dass typischerweise bei Eheleuten wegen Lücken in der Erwerbsbiographie aufgrund von Kindererziehung ein anderer Versorgungsbedarf bestünde als bei Lebenspartnern. Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder. Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Ebenso wenig kann unterstellt werden, dass in Ehen eine Rollenverteilung besteht, bei der einer der beiden
Ehegatten deutlich weniger berufsorientiert wäre. Das in der gesellschaftlichen Realität nicht mehr typusprägende Bild der „Versorgerehe“, in der der eine Ehepartner den anderen unterhält, kann demzufolge nicht mehr als Maßstab der Zuweisung von Hinterbliebenenleistungen dienen.
Umgekehrt ist in eingetragenen Lebenspartnerschaften eine Rollenverteilung dergestalt, dass der eine Teil eher auf den Beruf und der andere eher auf den häuslichen Bereich einschließlich der Kinderbetreuung ausgerichtet ist, ebenfalls nicht auszuschließen. In zahlreichen eingetragenen Lebenspartnerschaften leben Kinder, insbesondere in solchen von Frauen. Der Kinderanteil liegt bei eingetragenen Lebenspartnerschaften zwar weit unter dem von Ehepaaren, ist jedoch keineswegs vernachlässigbar.
Zudem können etwaige Kindererziehungszeiten oder ein sonstiger individueller Versorgungsbedarf unabhängig vom Familienstand konkreter berücksichtigt werden, wie es sowohl im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in der Satzung der VBL bereits geschieht.
4. Verstoßen Allgemeine Versicherungsbedingungen - wie hier die Satzung der VBL - gegen Art. 3 Abs. 1 GG, so führt dies nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Unwirksamkeit der betroffenen Klauseln. Hierdurch entstehende Regelungslücken können im Wege ergänzender Auslegung der Satzung geschlossen werden. Der Gleichheitsverstoß kann nicht durch bloße Nichtanwendung des § 38 VBLS beseitigt werden, weil ansonsten Hinterbliebenenrenten auch für Ehegatten ausgeschlossen wären. Der mit der Hinterbliebenenversorgung nach § 38 VBLS verfolgte Regelungsplan lässt sich nur dadurch vervollständigen, dass die Regelung für Ehegatten mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 auch auf eingetragene Lebenspartner Anwendung findet.
BVerfG, 1 BvR 1164/07 vom 7.7.2009 ...»
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