Statistiken und Zahlen
Alarmierende Statistik
Mehr vernachlässigte Kinder in Ulm
veröffentlicht am 24.10.2009 (hr)
Ulm,  19. Oktober 2009

Es gibt in Ulm immer mehr misshandelte oder vernachlässigte Kinder. Zumindest statistisch: Steigende Aufmerksamkeit führt zu steigenden Zahlen. Die Stadt hat bei Verdachtsfällen eine schnelle Eingreiftruppe.

Chirin Kolb


Die Zahl der misshandelten und vernachlässigten Kinder in Ulm steigt.
Foto: Archivbild www.swp.de

Es gibt in Ulm immer mehr misshandelte oder vernachlässigte Kinder. Zumindest statistisch: Steigende Aufmerksamkeit führt zu steigenden Zahlen. Die Stadt hat bei Verdachtsfällen eine schnelle Eingreiftruppe.

Wie kann man Kinder besser schützen, wie schneller eingreifen? Diese Fragen bewegten nach dramatischen Fällen von Kindesmisshandlung ganz Deutschland. Die Stadt Ulm reagierte, in dem sie zum Beispiel im Mai 2007 die Kindesschutzstelle als zentrale Anlaufstelle einrichtete. Das Jugendamt verzeichnet seit Jahren steigende Zahlen bei den Verdachtsfällen auf Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung (siehe Grafik). Das wird auch 2009 nicht anders werden: Bereits Ende Juli waren 45 Familien mit 62 Kindern wegen Verdachts auf Kindeswohlgefährdung gemeldet worden. Im ganzen Jahr 2008 waren es 81 Familien mit 119 Kindern.

Die städtischen Mitarbeiter führen die steigenden Zahlen darauf zurück, dass Nachbarn, Erzieherinnen oder Angehörige aufmerksamer sind als früher und ihren Verdacht melden – oft auch anonym. In 35 von 45 Fällen stellten die Fachleute keine akute Gefährdung fest. Die beiden Sozialpädagoginnen in der Kindesschutzstelle sollen eine schnelle Risikoabschätzung leisten, zum Beispiel auch im Gespräch mit Kollegen des Jugendamts. Wird der Kindesschutzstelle oder dem Jugendamt der Verdacht auf Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung gemeldet, besuchen in den meisten Fällen zwei Mitarbeiter innerhalb von zwei Tagen die Familie – unangemeldet. Sie versuchen, sich ein Bild zu machen: von der Familie, dem Kind, der häuslichen Situation.

Das gelingt allerdings nicht immer. Häufig werden die städtischen Mitarbeiter abgewiesen, berichtete Siegfried Sauter vom Jugendamt kürzlich im Jugendhilfeausschuss. Ein Beispiel: Eine Mutter wollte die Mitarbeiter nicht hereinlassen, zeigte ihnen aber auf dem Balkon ihr Baby. „Es machte einen guten Eindruck. Die Kollegen bestanden aber darauf, in allernächster Zeit ein persönliches Gespräch zu führen und sich das Kind genauer anzusehen.“ Zusätzlich lief die „Hintergrund-Recherche“ an: die Abklärung der familiären Situation, die Befragung der Hebamme zum Beispiel. Nach mehrstündigen Verhandlungen ließ sich die als labil geschilderte Mutter schließlich auf einen verpflichtenden Arztbesuch, weitere Gespräche und Unterstützungsangebote ein.

Wenn Eltern trotz begründeten Verdachts auf Kindeswohlgefährdung nicht einlenken, wird der Druck erhöht. Das Jugendamt ruft dann das Familiengericht an, im laufenden Jahr in zwei Fällen. Bei Gefahr im Verzug werden die Kinder in Obhut genommen.

Was die Sorgerechtsentzüge angeht, entwickelt sich Ulm gegen den Trend in Baden-Württemberg. Nach Angaben des statistischen Landesamts haben die baden-württembergischen Gerichte 2008 in 686 Fällen die vollständige oder teilweise Übertragung des Sorgerechts auf die Jugendämter angeordnet – „eine Zunahme um 24,3 Prozent und der höchste Wert im Land seit Einführung dieser Statistik 1991“, stellte die Stadtverwaltung in der Sitzung dar.

In Ulm dagegen gehen diese Zahlen zurück. 2006 waren es 12 Sorgerechtsentzüge, 2007 noch 4 und 2008 nur 2. Abteilungsleiter Helmut Hartmann-Schmid führt das darauf zurück, dass das Jugendamt zunächst niederschwellige Hilfen und Unterstützung anbietet. Die Eltern würden dann eher kooperieren, der Gang zum Familiengericht erübrige sich. Das niederschwellige Angebot habe sich deshalb in mehrfacher Hinsicht bewährt.

Die Kindesschutzstelle der Stadt Ulm ist tagsüber unter
Tel. (0731) 161-61 61 erreichbar.


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