Von Sandra Bengsch 27. August 2009, 06:00 Uhr Quelle: Hamburger Abendblatt
Viele Väter müssen ohne ihre Kinder leben. Weil vor allem die Kinder unter dem Verlust leiden, fordern Selbsthilfegruppen nun neue Standards.
Lüneburg. Wenn er wenigstens wüsste, dass es irgendwann ein Happy End gibt, dann wäre alles leichter, sagt Peter Witkowski. Doch diese Sicherheit gibt es nicht, und so bleibt ihm nur der Kampf um seine Tochter. Hannah (Name von der Redaktion geändert) ist jetzt neuneinhalb Jahre alt. Seit beinahe fünf Jahren hat Peter Witkowski sie nicht mehr gesehen, hat sie nicht mehr in den Arm nehmen, nicht mehr drücken oder mit ihr spielen können.
Witkowski erinnert sich an die Trennung im Jahr 2004 nach der seine Exfreundin einen neuen Mann kennengelernt hatte. Plötzlich eröffnete sie ihm: "Hannah hat jetzt eine neue Familie. Sie will bei uns bleiben und dich nicht mehr sehen." Die Worte erschüttern den Mann bis ins Mark - auch wenn er sich bis heute sicher ist, dass alles gelogen war. "Hannah hätte garantiert gewollt", so der 41-Jährige. Witkowski schaltet das Jugendamt ein, zieht vor Gericht. Ein erster Beschluss: Alle zwei Wochen darf Hannah für drei Tage und zwei Nächte zu ihm.
Von Beginn an gibt es Probleme. Die Mutter mauert, versucht die Treffen zu verhindern. Es folgt eine zermürbende Prozessarie, eine Umgangsregelung folgt der nächsten. Immer wieder gibt es unschöne Szenen bei der Übergange von Hannah. Von Termin zu Termin bemerkt Witkowski: "Hannah wirkt regelrecht eingeschüchtert." Zwar sei das Mädchen nach kurzer Zeit bei ihm immer schnell wieder aufgetaut, aber Peter Witkowski ist sich sicher, "dass meine Exfreundin Hannah gegen mich aufgehetzt hat".
Solange, bis Hannah schließlich äußert, dass sie nicht mehr zu ihrem Vater will. 2006 beantragt die Mutter einen Umgangsausschluss, will dem Vater den Kontakt zu seiner Tochter gerichtlich verbieten lassen. Ein Psychologe wird hinzugezogen. Der urteilt in seinem Gutachten: "Hannah wurde hochgradig instrumentalisiert, indem die Mutter ihr ein radikal negatives, monströses und feindseliges Bild ihres Vaters vermittelte." Hannah zeige bereits erste Anzeichen von PAS, das steht für Parental-Alienation-Syndrom, ein Fachausdruck für Elternentfremdung. Dabei würden Kinder Partei für den betreuenden Elternteil ergreifen und sich aus Überzeugung von der Richtigkeit seiner Sichtweise deutlich gegen den anderen Elternteil positionieren, erklärt der Psychologe.
Dass der Experte die Verantwortung für die Entfremdung bei der Mutter sieht, ändert nichts an der Entscheidung des Gerichts: Peter Witkowski erhält ein Umgangsverbot. Damit ist er kein Einzelfall. Nach Schätzungen des Vereins "Väteraufbruch für Kinder" - Witkowski ist Vorstandmitglied der Initiative - sind bundesweit etwa 25 000 Mütter und Väter betroffen. Die Initiative hat berechnet, dass jedes vierte Trennungskind vom Verlust eines Elternteils bedroht ist. Bezogen auf die Berechnung des Statistischen Bundesamtes, dass im vergangenen Jahr 150 187 Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen waren, sind das rund 37 600 Kinder - unehelicher Nachwuchs ausgenommen.
Dass die Kinder leiden, sei das Schlimmste für sie, erklärt Dorette Kühn aus Soderstorf. Bei ihr sind es die Enkel, die die 55-Jährige schmerzlich vermisst. Wie es zu dem Kontaktabbruch kam, will Dorette Kühn nicht öffentlich erzählen: "Ich möchte meine Enkel schützen."
Daher habe sie vor dem Gericht auch auf ein Umgangsrecht verzichtet. Kühn: "Ich wollte nicht, dass die Jungen das Gezerre noch länger aushalten müssen." Heute bereut sie diesen Schritt. Zwei Jahre darf sie ihre Enkel jetzt nicht mehr sehen. Dabei ist Dorette Kühn sich sicher: "Für die Kinder ist es das Wichtigste, dass sie alle behalten." Denn jeder Verlust bedeute für die kleinen Seelen Kummer und Schmerz. Gemeinsam mit Peter Witkowski hat Dorette Kühn die Selbsthilfegruppe "Entsorgte Eltern und Großeltern gegründet", engagiert sich aber darüber hinaus bei Fachtagungen und Expertentreffen.
Kühn kritisiert, dass Jugendamtsmitarbeiter und Richter sich nicht stärker im Interesse der Kinder engagieren. Denn: "Möglich wäre das mit dem Cochemer Modell." Das Verfahren zeichne sich durch eine frühzeitige Zusammenarbeit von Anwälten, Richtern, Sozialarbeitern, Psychologen und betroffenen Eltern aus. Bereits in den ersten 14 Tagen, also bevor eine Entfremdung eintreten kann, soll gemeinsam eine Lösung im Sinne der Kinder gefunden werden.
Doch bisher komme das Cochemer Modell nur ansatzweise und selten zur Anwendung, so Kühn. Mit einer Demonstration vor dem Kreisjugendamt Lüneburg, Auf dem Michaeliskloster 4, wollen Witkowski, Kühn und andere Betroffene jetzt am Sonnabend, 12. September, um 11 Uhr auf das Problem aufmerksam machen. Und dann bleibt Peter Witkowski noch eine Hoffnung: Der Gang vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Denn seine Tochter, will er nicht aufgeben.